Der Umweg ist der beste Weg zum Ziel, raten fernöstliche Weisheiten. Und auch der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel empfiehlt als Wegweiser, fraglos für schöpferische Prozesse, eben nicht die direkte Linie: „Der Weg des Geistes ist der Umweg.“ Diese Maximen scheinen vertraut mit den Paradoxien des Lebens – und könnten auch gut der innere Kompass gewesen sein, der Jürgen Reiners dorthin geführt hat, wo er längst angekommen ist – in die Welt der Kunst, seiner Kunst des Aquarellierens.
Von der Architektur zur Malerei
Dieser (Um-)Weg war folgerichtig und deutete sich bereits früh an: „Schon als Architekt habe ich gerne künstlerische Skizzen gemacht“, sagt Reiners, der später gleichsam vom Reißbrett zum Maltisch konvertierte. Freilich bewegten sich seine berufsbiografischen Umwege auf einem Terrain, das sie bei aller Unterschiedlichkeit doch verbindet – auf dem Terrain der Gestaltung, der Formgebung. Denn der Niederrheiner Reiners machte zuerst eine Ausbildung zum Bauzeichner und Maurer; danach absolvierte er ein Architekturstudium an der Fachhochschule Aachen. Bald jedoch, nach zwei Jahren Arbeit als Architekt, meldete sich der innere Kompass wieder – und Jürgen Reiners studierte Kunst am Institut für bildnerische Gestaltung, einem Fachbereich der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) in Aachen: Malerei bei Prof. Hubert Berke und Bildhauerei bei Prof. Elmar Hillebrand (mit einer Zusatzqualifikation in Kunsterziehung und im Fach Politikwissenschaften). Wer sich in die Bilderwelt von Jürgen Reiners vertieft, wird schnell feststellen, dass immer wieder architektur-ästhetische Assoziationen angedeutet auftauchen, etwa vergitterte sowie fensterartige und mauerwerk-ähnliche Strukturen in vielen abstrakten Arbeiten.
„Die Freiheit des Wassers“
Mit großer Begeisterung widmet sich der Künstler bereits seit der Studienzeit dem Aquarellieren. Es ist sein wichtigstes Mal-Medium, das er zudem durch seine Erfahrungen mit asiatischer Tusche-Malerei und in der kontemplativen Auseinandersetzung mit Tao und Zen vertiefte. Beides gehört zu den nachhaltigen Quellen seiner Inspiration. „Mich motiviert nach wie vor die Spannung zwischen dem nicht gemalten Malgrund, also der ausgesparten Fläche, und dem Farbauftrag der bemalten Fläche“, sagt Reiners. Nicht zuletzt ist es die Wirkung, die der Künstler „die Freiheit des Wassers“ nennt. Wasserfarben fließen, und ihr Einfluss auf das Aquarellieren lässt sich vom Bildschöpfer nie hundertprozentig kontrollieren. „Darum ist es nahezu unmöglich, ein Aquarell zu kopieren.“ Aquarellieren bedeutet für Reiners: Ganz aufgehen im Jetzt des schöpferischen Moments.